Mehrheitsbeschaffung durch die Hintertür
Tobias Moser, Partner und Rechtsanwalt bei DMR, fürchtet einen Präzedenzfall, nachdem es einer Immobilien-AG gelungen ist, mit einem Manöver die Gläubiger einer Anleihe zu enteignen, wie er sagt. Nehmen sich andere ein Beispiel, hätte das weitreichende Folgen.
Viele Immobilienunternehmen können auslaufende Verbindlichkeiten nicht refinanzieren und müssen deshalb mit ihren Gläubigern die Konditionen nachverhandeln. Bei Anleihen entscheidet ein Mehrheitsbeschluss (in der Regel 75% des Kapitals). Was aber, wenn das Unternehmen dazu mit seinen Gläubigern gar nicht verhandelt, sondern die Mehrheit „kapert“?
Wir erleben gerade einen Präzedenzfall mit einer deutschen Immobilien-AG. Sie hatte mehrfach versucht, die Zustimmung für die Restrukturierung ihrer 250-Mio.-Euro-Anleihe zu erlangen – und das im dritten Anlauf auch geschafft. Die erforderlichen Mehrheiten kamen dabei aber nur zustande, weil die AG sowie ihre Muttergesellschaft selbst Anteile im Nominalwert von 185 Mio. Euro an der Anleihe besaßen und diese Anteile kurz vor den jeweiligen Gläubigerversammlungen in nicht öffentlich publizierten, privaten Transaktionen an vertraute Personen veräußert haben. Man darf vermuten, dass die AG damit das Stimmrechtsverbot für eigene Anleihen umgehen wollte. Dank dieses Manövers wurden die übrigen Gläubiger faktisch enteignet.
Die aktuelle Gesetzeslage ist hier nicht gläubigerfreundlich. Wenn jemand für einen Emittenten Anleihen hält oder Stimmen gekauft werden, kann eine Geldbuße von bis zu 100.000 Euro verhängt werden – eine lächerlich niedrige Summe. Und wenn ein Gläubiger gegen solche Abstimmungen klagt, ist er es, der beweisen muss, dass auf verbotenem Wege Mehrheiten beschafft wurden. Sinnvoller wären höhere Geldbußen und eine Beweislastumkehr: Beim Verkauf von Anteilen innerhalb eines Jahres vor der jeweiligen Abstimmung muss das Unternehmen die Drittvergleichsfähigkeit der Transaktion nachweisen.
Es besteht die Gefahr, dass sich weitere Unternehmen ein Beispiel an dieser Taktik nehmen. Sie könnten bei der Ausgabe von Anleihen für sich selbst oder für verbundene Unternehmen vorsorglich Stimmrechte schaffen. Die Mehrheit für künftige Restrukturierungen wäre garantiert. Wenn sich allerdings herumspricht, dass das funktioniert, könnte das Anleihezeichner abschrecken. Gerade für die Immobilienbranche, die ohnehin unter Refinanzierungsdruck steht, wäre das verheerend. Investoren rate ich, Prospekte und das emittierende Unternehmen gründlich zu prüfen und sich bei einer anstehenden Restrukturierung schnell zu organisieren. Im Zweifel sollten eher Papiere bekannter Emittenten, die regelmäßig am Kapitalmarkt auftreten und auf ihre Reputation angewiesen sind, in Betracht gezogen werden.
