Tobias Moser ist Partner bei der Kanzlei DMR Legal und Restrukturierungsexperte. Für ihn ist die Immobilienbranche ein Wachstumsmarkt, denn in den Führungsetagen dominieren Selfmade-Mittelständler mit wenig Krisen-Know-how, sagt er. Und er verrät, was gute von schlechten Restrukturierungsvorschlägen unterscheidet.
Immobilien Zeitung: Herr Moser, als Restrukturierungsexperten konnte man Sie in den letzten Monaten immer wieder im Umfeld angeschlagener Immobilienfirmen erleben. Ist das Zufall oder entsteht gerade ein neues Geschäftsfeld für Krisenmanager?
Tobias Moser: Wir werden die Immobilienbranche als neue Krisenbranche erleben. Sie steckt von zwei Seiten in der Zange, finanziell und operativ. Finanziell, weil Investitionen auf einem Zinsniveau von 1% bis 1,5% kalkuliert wurden, die jetzt 4% kosten, und die Immobilienrenditen nicht mehr konkurrenzfähig sind. Operativ, weil die Flächennachfrage aufgrund verschiedener Faktoren zurückgeht. Immobilien sind in eine ähnlich krisenhafte Position geraten wie vor Jahren schon die Autoindustrie und der Modehandel. Als Berater folgen wir zwangsläufig solchen Trends.
IZ: Sichtbar ist das schon bei den vielen Anleihen, deren Rückzahlung gefährdet ist. Wie wird es hier weitergehen?
Moser: Das kommt darauf an, wie lange die Situation so schwierig bleibt. Auslaufende Anleihen müssen refinanziert werden, entweder durch neue Anleihen oder durch andere Kapitalquellen. Wenn aber Festgeld wieder 4% abwirft wie aktuell, wird niemand eine Anleihe zeichnen, die weniger Rendite bringt und dabei höhere Ausfallrisiken hat. Die Krise haben wir bereits 1,5 Jahre, das heißt, wenn es noch drei Jahre oder länger so weitergeht und sich auch am Transaktionsmarkt wenig tut, geraten viele Immobilienunternehmen und -fonds unter Druck.
IZ: Ist das Anleihekapital ausfallgefährdet?
Moser: Anders als eine Bankfinanzierung sind ein Großteil der Anleihen unbesichert, das heißt mit Anleihen konnte man sich am Kapitalmarkt auch dann noch Geld besorgen, wenn das Immobilienvermögen schon hoch beliehen war. In einer Marktphase wie jetzt, wo die Immobilien abgewertet werden müssen, kann es passieren, dass das vorhandene Vermögen nur noch ausreicht, um die Banken zu bedienen. Die Anleihezeichner glauben, dass für ihre Ansprüche Werte vorhanden sind, weil sie ja Immobilien finanziert haben, aber das muss nicht stimmen.
IZ: Das heißt, ihre Position ist eher schwach?
Moser: Ja, denn die Gläubiger sind nicht nur unbesichert, sondern in der Regel auch unorganisiert. Das macht sie zum schwächsten Glied in der Kette. Wenn Unternehmen Probleme bekommen, wenden sie sich in der Regel zuerst an die Anleihegläubiger. Deshalb ist es so wichtig, dass sie sich zusammenschließen, wenn sie fällige Zinszahlungen stunden oder die Laufzeit der Anleihe verlängern sollen.
IZ: Auffällig ist, dass manche Emittenten ihre Anleihegläubiger jetzt schon zu solchen Verzichten auffordern, obwohl die Papiere erst in einem Jahr fällig werden. Was sagt uns das?
Moser: Ich vermute zwei Gründe: Entweder weiß das Unternehmen heute schon, dass es keine Refinanzierung zu auskömmlichen Konditionen bekommen wird, und bangt daher um seine Fortführungsprognose, oder es möchte einfach das Krisen-Umfeld ausnutzen, um Schulden loszuwerden. Anleihezeichner sollten in jedem Fall wissen: Für ein Unternehmen gibt es nichts günstigeres, als eine bestehende Anleihe zu verlängern. Wer diese auch noch zu den aktuellen Konditionen verlängert bekommt, erhält im Wettbewerb zur Konkurrenz sogar einen Vorteil. Und man kann die Verlängerung durch das Abstimmungsverfahren sogar erzwingen.
IZ: Wie geht das?
Moser: Durch die Anwendung des Schuldverschreibungsgesetzes. Über die Verlängerung einer Anleihe muss abgestimmt werden. Dieser Mehrheitsbeschluss ist dann zwingend. Erforderlich ist dafür zwar eine hohe Zustimmungsquote von 75% der anwesenden Gläubiger. Allerdings reicht es, wenn in der ersten Abstimmungsrunde keine Zustimmung erreicht wurde, in der zweiten aus, dass nur 25% der Gläubiger anwesend sind. Umgerechnet bedeutet das: Bei einer 100-Mio.-Euro- Anleihe müssen im Extremfall in der zweiten Runde nur Anleger mit 18,75 Mio. Euro Investitionsvolumen zustimmen, dann ist die Verlängerung zu den neuen Bedingungen, die das Unternehmen haben möchte, durch.
IZ: Das hört sich nach harten Bandagen an, mit denen hier gekämpft wird.
Moser: Ja, es sind intensive Verhandlungen. Es kann passieren, dass das Unternehmen den Anlegern im Vorfeld solcher Abstimmungen eine Schreckens-Kettenreaktion vorzeichnet: Ohne ihren Verzicht würden die Banken die Kredite kündigen, diese müssten dann durch Notverkäufe bedient werden, die Firma verschwindet. Das ist manchmal glaubwürdig, aber manchmal auch nicht. Denn theoretisch könnte man ja auch mit den Banken verhandeln oder der Eigentümer könnte Kapital nachschießen.
IZ: Wird also die Insolvenz als Drohkulisse genutzt?
Moser: Teilweise ja, wobei die Anleihegläubiger den Spieß auch umdrehen könnten. Solange sich das Unternehmen im normalen Geschäftsbetrieb befindet, können Anleihegläubiger, die ihre Papiere fristgerecht fällig stellen, das Unternehmen ihrerseits in die Insolvenz zwingen. Man kann also gegenseitig mit Insolvenz drohen. Wer dabei mehr zu gewinnen hat, ist von Fall zu Fall verschieden. Beispielsweise wurde schon im Rahmen einer Anleiherestrukturierung von den Anlegern verlangt, dass sie einem qualifizierten Rangrücktritt zustimmen. Ein solcher Vorschlag verdient maximales Misstrauen. Wer so etwas unterschreibt, wird bei einer Insolvenz erst nach allen anderen Beteiligten – gleichrangig mit dem Eigenkapitalgeber! – bedient. Als Anleihegläubiger kann man im Vergleich zu solchen Modellen sogar mit einer Insolvenz besser dastehen.
IZ: Was wäre für Sie denn ein faires Modell für gefährdete Anleihen?
Moser: Zum Beispiel, wenn die Zeichner für die verschobene Rückzahlung mit höheren Kupons entschädigt werden. Wenn der Gesellschafter selbst Kapital nachschießt und die Firma für die Restrukturierungszeit einen Dividendenblocker beschließt, einen festen Rückzahlungsplan aufstellt und regelmäßig mit den Anleihegläubigern kommuniziert. Überhaupt ist das Thema Kommunikation in Krisenzeiten kaum zu unterschätzen. Hier haben einige Vorstände von Immobilienfirmen großen Nachholbedarf. Die meisten Unternehmen erlebe ich als eine regelrechte Black Box. Wer aber erfolgreich restrukturieren will, muss die Leute mitnehmen. Die Entscheider müssen viel mehr Zahlen-Transparenz bieten. Sonst verspielen sie die Chance, in der momentanen Krise ihr Standing am Kapitalmarkt zu verbessern. Das ist nämlich durchaus möglich.
IZ: Dieser Praxistest steht aber noch aus. Bis heute ist am deutschen Immobilienmarkt noch keine Anleihe-Restrukturierung bis zum guten Ende, also der vollen Rückzahlung an die Anleger, durchgeführt worden.
Moser: Stimmt. Aber aus meiner Erfahrung in anderen Sektoren kann ich sagen: Wer eine Restrukturierung durchlaufen hat, geht in der Regel gestärkt daraus hervor. Jedenfalls, wenn das Geschäftsmodell operativ tragfähig ist und nur ein zwischenzeitlicher Liquiditätsengpass überwunden werden muss. Wenn das Modell selbst aber auf Kante genäht ist und nie positiven Cashflow erwirtschaftet, hilft es auch nicht, die Anleihegläubiger ein paar Jahre lang zu vertrösten.
IZ: Sie konnten als Restrukturierungsexperte Erfahrungen in verschiedenen Industriezweigen sammeln. Sind Ihnen in der Immobilienbranche Besonderheiten aufgefallen?
Moser: In anderen Branchen ist die erste Führungsriege krisenerfahrener. In der Immobilienwirtschaft finden Sie zurzeit auf Vorstandsebene viele Selfmade-Mittelständler, aber so gut wie nie einen Restrukturierungsprofi. Vielleicht auch wegen der sehr langen dynamischen Wachstumsphase, in der für diese Branche immer nur die Sonne schien. Dieser Mangel führt jetzt dazu, dass die Firmen Probleme erst sehr spät angehen, was ihren Gestaltungsspielraum für frühe, einvernehmliche Lösungen einschränkt.
IZ: Welche Rolle spielt bei dieser Verzögerung die temporäre Erleichterung des Insolvenzrechts, die die Bundesregierung im Oktober 2022 beschlossen hat?
Moser: Das spielt eine sehr große Rolle! Die Erleichterung hat dazu geführt, dass Restrukturierungen und auch Insolvenzen verspätet eingeleitet wurden. Man muss aktuell nur noch für die kommenden vier Monate eine positive Fortführungsprognose feststellen, sprich für vier Monate Liquidität aufweisen, und nicht, wie das Gesetz es eigentlich vorsieht, für zwölf Monate. Finanzierungslücken lassen sich für vier Monate aber wesentlich einfacher „wegschieben“ als über einen Zeitraum von einem Jahr. Aber diese Erleichterung läuft Ende des Jahres aus. Also muss ein Unternehmen schon ab dem 1. September 2023 wieder zeigen, dass es seine Verbindlichkeiten bis September 2024 bedienen kann.
IZ: Was wird also ab September nach ihrer Einschätzung passieren? Werden wir mehr Insolvenzen sehen?
Moser: Ich rechne nicht sofort mit steigenden Insolvenzzahlen, aber die Unsicherheit am Markt wird nochmals größer werden. Vor allem bei den Geschäftsführern, die sich Gedanken über mögliche Haftungsprobleme wegen einer Insolvenzverschleppung machen müssen. Ich halte es andererseits für gut möglich, dass das Gesetz rückwirkend noch einmal verlängert wird. Der aktuellen wirtschaftlichen Lage würde das zumindest entsprechen.
IZ: Herr Moser, vielen Dank für das Gespräch! Das Interview führte Monika Leykam.
